Montag, 21. Oktober 2013

Der Tag des Springers



Der Tag des Springers                                                         


Einst war ich ein einsamer Wanderer, hatte lange steinige Wege hinter mir und erschöpft erreichte ich ein karges Land. Dort angekommen fand ich einen Brunnen und hoffte auf Wasser, doch als ich mich  über den Brunnenrand beugte fiel ich hinüber und sein Schlund verschluckte mich für lange Zeit.
Eine Ewigkeit saß ich in dieser Dunkelheit, kalt und erbarmungslos hielt mich die Verzweiflung gefangen beim Anblick der feuchten und glatten Wände um mich. Weit oben erahnte ich das Licht, sah Tag und Nacht vorüber ziehen, hörte Menschen lachen und reden über ihr Leben, sah sie tief in den Brunnen hinab schauen in ihren prunkvollen Gewändern und lachen über mich, weil ich dort unten saß und nicht fähig war, die Wände hinauf zu klettern und mit ihnen ihr Leben zu leben.

Meine Hände schmerzten und das Herz brannte in der Brust, die Tränen waren längst versiegt, so wie das Wasser in diesem Verließ. Ich hörte den Spott der Leute, doch am schlimmsten war das Mitleid und jene Stimmen die mir nahe legten, die Augen zu schließen und mein Schicksal zu akzeptieren. Der Glaube an mich selbst war bis auf einen kaum sichtbaren Funken erloschen, niemals würde ich dort hin gelangen, wo all die anderen standen oder gar deren Gewänder tragen.

Meine Gedanken teilte ich mit den Schattenwesen, die dort unten lebten, und hin und wieder mitten in der Nacht, wenn der Vollmond am Himmel leuchtete und meine Brunnenwände silbern glänzen lies, sang eine Nachtigal ihr Lied. Sie setzte sich auf den Rand des Brunnens und schmetterte ihren lieblichen Gesang so anmutig und leidenschaftlich gegen den kühlen Stein, dass der Funke in meinem Herzen wieder zu lodern begann.

Eines Nachts, als wieder die Einsamkeit an meiner Kehle hing und mir die Luft zum Atmen nahm, begann die Nachtigal ihr Lied so laut und unwiderstehlich zu singen, dass sie die Einsamkeit zum Schmelzen brachte und diese ihre grausige Hand von meinem Halse nahm.
Ich rief nach dem Vogel und flehte, er möge mich doch retten aus diesem Schacht und da verstummte sein Lied.
Alles war still, so still, dass ich nicht einmal mehr meinen eigenen Atem hören konnte. Der kleine Vogel erhob sich und schwebte wie von Zauberhand getragen zu mir in die dunkle Tiefe hinab und setzte sich auf mein Knie. Lange und prüfend betrachtete mich das schlanke Tier und hüpfte auf mein anderes Knie, dann auf meine Schulter und begann leise in mein Ohr zu singen, ganz leise, so als kämen die Töne aus einer weit entfernten Ewigkeit hier her zu mir und nur zu mir. Aus dem seltsam anmutenden Gesang formten sich Worte, und aus ihnen verständliche Sätze.
„Warum schlägst du gegen diese Wände? Siehst du nicht, wie stark sie sind? Hör auf zu weinen und zu jammern, dort oben kommst du nicht hin, das ist nicht dein Weg. Die Welt dort oben ist nicht die Deine. Sieh nach unten, hier vor deine Füße, schau!“  Und ich richtete meinen Blick auf den Boden auf dem ich schon so lange saß, doch niemals war mir diese Türe aufgefallen. Dies sollte mein Weg sein? Ich griff nach dem schweren Eisenknauf und öffnete sie langsam. Ich brauchte sie nicht nach oben zu ziehen, denn in dem Augenblick, als sich die Türe zu öffnen begann, kippte meine Welt und ich stand aufrecht.
Vor mir erstrahlte ein eigenartig flimmerndes Licht, und meine Hand warf türkise Schatten. Die Nachtigall entschwand durch die Türe und rief zu mir: „Spring!“ und war verschwunden.
Mein Gott, wohin sollte ich springen? Alles war verschwommen, wie in einem Nebel, wo würde ich landen, doch hinter mir stand wieder die Einsamkeit und drückte ihre Hand gegen die offene Türe und dies war der Moment in dem ich die Entscheidung treffen musste. „Spring oder stirb!“ Hörte ich von weit her die Nachtigall noch einmal rufen und ich stieß mich ab vom feuchten Brunnenboden und zu meiner Überraschung setzte ich im gleichen Augenblick an einer anderen Stelle wieder auf.
Doch wo war ich nun? Die kalten nassen Brunnenwände waren verschwunden, um mich zeigte sich immer deutlicher ein gewaltiger großer Raum. In ihm war es weder hell noch war es dunkel und mir schien, ich sei unsichtbar. Wie ein Schatten bewegte ich mich von einer Stelle zur anderen. Allein die Kraft meiner Gedanken versetzte mich an den Ort meines Verlangens. Doch mein Verlangen war beschränkt auf das Vorhandene, ich sah und zielte und war dort. Ich sprang und auf meinen Sprüngen durchquerte ich unendliche Welten, überwand alle Hindernisse, die sich als solche vor mir preisgaben, mir Angst machen wollten, und lachend sprang ich über sie hinweg.
Mit meinen Sprüngen veränderte sich die Form des Raumes und die Welt war gefüllt mit Nebel und Farben, die sich zu immer neuen Gestalten formierten, festigten und sich wieder auflösten um sich mir in den Weg zu stellen, mich heraus zu fordern und ich suchte nach neuen Plätzen und sprang.
Einer meiner Sprünge war so hoch und weit, dass ich den Boden nicht mehr erkennen konnte und flog einem fremdartigen Lichtstrahl entgegen. Dort, wo das Licht tanzte, lag mein Ziel.
Dies war wohl der bisher längste und wagemutigste Sprung, den ich in meinem Leben je vollbrachte, und es hatte sich gelohnt. Die Plattform auf der ich landete bot mir eine gewaltige Aussicht über diesen unendlich großen Raum, dass es mir die Sprache verschlug, Ich fand plötzlich keine Worte mehr um zu sagen, was ich sah.

Die Formen und Farben schwebten um mich herum als boten sie sich mir an und ich hob meine Hand und sandte meinen Willen aus und schuf eine Welt, durchfuhr sie und löste sie wieder auf, ich zog Linien durch die Unendlichkeit und tanzte auf ihnen wie auf einem Seil. Unter mir formten sich Türme aus Farben umringt von rot glühenden Nebeln. Ein Gedanke entschwand meinem Inneren und brachte den Himmel zum Bersten. Es regnete Diamanten umhüllt von magischen Klängen um sich in einem Meer aus Leidenschaft zu sammeln. Und nun begriff ich, dass dies meine Welt war in der ich leben sollte, dies war meine Heimat.

Kaum hatte ich mich mit meiner schöpferischen Kraft vertraut gemacht, hörte ich von weit her eine Stimme zu mir rufen: „Hallo, ist hier jemand, bist du es? Ich kenne dich!“ Und aus der Stimme formte sich alsbald eine wunderbare Gestalt, tanzend auf einem leuchtenden Ball schwebte sie mir entgegen. Überglücklich schlug mein Herz über diese erste Begegnung mit diesem altbekannten Geist und warf ihm eine Linie zu und noch ein paar in allen Farben und wir formten daraus einen See und füllten ihn mit Liebe und Freude. Und wir waren nicht die Einzigen, immer mehr kamen aus allen Reichen dieser Welt und gesellten sich zu uns. Wir sprangen, tanzten und lachten miteinander und schufen alle Dinge neu, so, dass sie zu uns passten. Wir schufen Bilder neuer Möglichkeiten, um auf ihnen zu landen, in aller Stille, ohne ein Wort.

Nach einer wunderbaren Zeit des wieder Findens und Erkennens trennten sich unsere Wege wieder, doch wir malten uns Zeichen auf die Stirn um uns nicht zu vergessen.

Seit diesen Tagen springe ich durch alle Ereignisse, über alle Dinge hinweg, in unvorstellbarer Geschwindigkeit. Ich springe dir aus dem Wege, wenn du meinen Raum bedrückst, springe über dich hinweg, wenn du denkst, über mir zu stehen, ich springe dir vor die Füße, wenn du glaubst mich übergehen zu müssen doch ich springe sofort an deine Seite, um dir im silbernen Schein des Mondes ein Lied zu singen, wenn dein Herz verbrennt, im Glauben an den Brunnenschacht.




Sonntag, 20. Oktober 2013

Gänseblümchen



Dumm wie ein Gänseblümchen

Das Einzige, was der Mensch wirklich weiß ist, wie er sich für eine gewisse Zeitspanne am Leben erhalten kann. Er hat gelernt mit all den Dingen die er dafür braucht umzugehen. Um seinen Lebensraum zu erweitern und sich weiter auszubreiten hat er seine Fähigkeiten spezialisiert. Das ist alles. Im Grunde ist er nicht viel klüger, als ein Einzeller. 
Man sollte als Mensch so aufrichtig sein, zuzugeben, dass man gar nichts weiß. Wir wissen, dass der Erdball auf dem wir leben rund ist. Das ist nichts anders als zu wissen, dass der Raum in dem wir sitzen vier Ecken hat. Alles, was sich außerhalb unserer körperlichen Grenze abspielt ist für uns nicht wirklich durchschaubar. Wir kennen nur das, was sich in uns abspielt, wenn wir etwas wahrnehmen. Wir erleben es in unserem Inneren und halten es für die Wirklichkeit. Wir betreiben Forschung und glauben tatsächlich, etwas erfahren zu haben, was der Wahrheit entspricht. Wir glauben an eine unumstößliche Wahrheit, an Tatsachen. Das ist eine alleinige Erfindung der Menschheit. Realität, Tatsache, Wahrheit, all das sind abstakte Begriffe, die der Mensch geschaffen hat um etwas zu beschreiben, von dem er ausgeht, dass es vorhanden sein muss. Wir wissen gar nichts, von einer Wahrheit, oder einer Realität. Tatsachen müssen wir beschränken auf das, was sie sind. Wahrnehmungen und zwar subjektive. Und nur weil mehrere Menschen das Gleiche wahrnehmen macht es die Sache nicht objektiver. Das Einzige, was mir recht sicher erscheint, ist die Vermutung, dass die Welt da draußen nicht das ist, für das wir sie halten. Wir sind nicht einmal in der Lage zu verstehen, was unser eigenes Bewusstsein wirklich ist, wie es entsteht, ob es überhaupt entsteht oder schon immer vorhanden war, wo es herkommt und wo es hingeht und ob es überhaupt gehen kann. Unsere Forschung ist stets auf dem neusten Stand des Irrtums (ist nicht von mir)  klingt aber sehr überzeugend.

Was muss geschehen, damit ich begreifen kann, was ich wirklich bin und was dieses Leben hier tatsächlich ist. (schon wieder dieses Wort) Die einzige Erklärung, die mir immer wieder in den Sinn kommt ist, dass dieses Leben, dieses Universum, diese Erde, die Vergänglichkeit, sprich, mein Zeitempfinden einfach nichts anderes ist als ein Zustand, in den wir versetzt wurden, um aus diesem Leben etwas ganz bestimmtes mit zu nehmen, wohin auch immer. Mir bleibt zurzeit nichts anderes, als mein kindliches Vertrauen und die Gewissheit, dass ich dumm bin wie ein Gänseblümchen.

Fliehen

  Es reißt das Leben Lücken In dein Auffangnetz Unbarmherzig Unvermutet Ohne Vorbereitung Es will halten, es will schützen ...