Montag, 29. September 2014

"Er wird sich nie ändern!"



Werde ich mich jemals ändern können?

diese Frage habe ich mir noch nie gestellt, da ich seit meiner Kindheit die permanente Erfahrung mache, mich zu verändern. Aus dem Leben zu lernen, geistig zu wachsen, neue Fähigkeiten zu entwickeln und zu nutzen, war schon mit vierzehn Jahren meine ganz bewusste Entscheidung – es war und ist seither "mein Wille" und Lernen geht nur über die Bereitschaft zur Veränderung.

„Er wird sich nie ändern“ war die felsenfeste Überzeugung meiner Mutter über den Mann an meiner Seite. Das ist viele Jahre her und dieser Mann hat sich gewaltig verändert.
Meine Mutter glaubt fest daran, der Mensch könne sich nicht ändern, der „Charakter“ steht von Anfang an fest. Bei derlei Aussagen empfinde ich ein starkes körperliches Gefühl, als würde sich mir die Haut von innen vom Fleisch lösen – dies ist das stärkste Gefühl von Ablehnung, welches ich zu empfinden fähig bin. Denn dieser Glaube hat fatale Folgen, er raubt uns die Möglichkeit Veränderungen einzuleiten oder zuzulassen, selbst für den anderen dem wir unsere Unveränderlichkeit anhängen.

Ich schreibe seit vierzig Jahren Tagebuch. In diesen Büchern finde ich den Beweis dafür, wie sehr ich mich, mein Verhalten und auch das Erleben der Welt und meines Umfeldes, mein Selbstbild und meine Identität verändert habe. Manches veränderte sich innerhalb von Wochen, anderes wieder brauchte zwanzig Jahre, doch wer oder was leitete die Veränderung ein? Und gibt es Dinge, die immer gleich geblieben sind, all die Jahre? Nichts ist geblieben wie es war, das weiß ich mit Sicherheit. Geblieben ist die Tatsache, dass ich einer permanenten Veränderung unterworfen war – „unterworfen“ dieses Wort benutze ich gezielt. Denn ohne die innere Bereitschaft diesen Veränderungsprozess anzunehmen, an dem auch die Umwelt beteiligt ist, würde er viel langsamer laufen und fast unbemerkt bleiben. Genau so unbemerkt, wie der Zeiger einer Uhr sich auf dem Ziffernblatt nach vorne bewegt.
Hier wären wir dann bei dem Willen des Menschen angelangt. Reicht der Wille, etwas anders zu tun als bisher oder braucht es auch die tiefe innere Bereitschaft den dafür notwendigen Veränderungsprozess anzunehmen?

Wenn sich ein Raucher dazu entscheidet, das Rauchen aufzugeben, ist ihm dabei oft nicht bewusst, was diese Entscheidung nach sich zieht. Viele Gewohnheiten die wir Tag für Tag unser Eigen nennen, die auch einen Nutzen für uns darstellten, fallen nun weg, und welchen Ersatz haben wir dafür, womit beruhigen wir uns jetzt, wenn wir nervös sind, was tun wir, wenn wir uns mit Freunden an den Tisch setzen, unsere wohlverdiente Pause machen wollen? 

Ich war überzeugte leidenschaftliche Raucherin, das war ein großes Stück meiner Identität und darüber habe ich mich mit Gleichgesinnten verbunden gefühlt. All das fiel von einem Tag auf den anderen weg und ich hatte nicht für Ersatz gesorgt. Die Gefahr, diesen Veränderungsprozess abzubrechen, zu blockieren, also rückfällig zu werden war enorm. Doch in mir gab es zum Rauchen eine „Gegenbewegung“, ich wollte nicht mehr rauchen, mein Körper rebellierte mit winzigen Signalen, ich entwickelte allmählich eine Ablehnung gegen Nicotin. Später kam noch eine Allergie hinzu, die mir das Rauchen völlig unmöglich machte.
Heute bin ich Nichtraucherin und ich weiß nur all zu gut, wie sehr sich allein dadurch meine Identität verändert hat. Danach habe ich intensiv Sport getrieben, auch dies veränderte mein körperliches Empfinden und somit natürlich auch die Selbstwahrnehmung. Eine Ernährungsumstellung brachte weitere Veränderung.
Doch um Veränderungen einzuleiten, um überhaupt eine Notwendigkeit zu einer Änderung zu erkennen braucht es die Fähigkeit einer bewussten Wahrnehmung seiner selbst und seiner Lebensumstände.

Diskussionsstoff bietet scheinbar immer wieder der Begriff „freier Wille“. Gibt es ihn oder nicht und in wie weit sind wir noch eigenverantwortlich handlungsfähig, wenn es ihn nicht gibt. Und gibt es ihn nicht, wer entscheidet dann für uns? Auch der Gebrauch des Willens ist meiner Erfahrung nach eine Sache des Bewusstseins. Viele Entscheidungen treffen wir unbewusst, was nicht heißt, dass dies immer so bleiben muss. Wir haben die Möglichkeit, uns Dinge bewusst zu machen, das braucht Zeit, wir sollten sie uns nehmen und wir sollten sie uns auch lassen, Zeit um bewusster zu werden, Tag für Tag ein Stück mehr, dann könnten wir uns auch bewusst darüber werden, wer in uns etwas will, oder nicht will.
Es könnte uns auch bewusst werden, was uns so vehement an Verhaltensweisen festhalten lässt, die uns oder anderen offensichtlich Schaden zufügen und dies den Eindruck vermittelt, wir würden uns nie ändern. Kann es sein, dass Gewohnheiten zu Süchten geworden sind? Sucht braucht tatsächlich einen starken Willen, um sich ihr zu widersetzen, oder Hilfe von außen. Die Versprechen eines echten Alkoholikers taugen nichts und er weiß es. Die Sucht zwingt uns, eine Scheinwelt zu errichten, die unsere Sucht rechtfertigt und uns ermöglicht, sie aufrecht zu erhalten.

Unser Verhalten, das wir an den Tag legen, ist uns in irgendeiner Form nützlich, sonst würden wir es lassen und diesen Nutzen gilt es zu entlarven. Ich gehe so weit, sogar den Nutzen einer körperlichen Einschränkung zu hinterfragen, den Nutzen meiner Angst, meiner Zweifel, all meiner „negativen“ Eigenschaften. Und ich finde ihn! Wenn irgendein Leid dazu taugt, mich aus dem Verkehr einer Situation zu ziehen, weiß ich, dass ich mit dieser Situation nicht fertig werde und einen Fluchtweg suche. Oder mein Verhalten verschafft mir einen Vorteil, den ich sonst nicht bekomme. Erst, wenn ich dies begriffen habe und die Bereitschaft entwickle an der problematischen Situation etwas zu verändern und dann auch die Fähigkeiten dazu entwickle, anders damit umzugehen, dann erst kann ich mein Ausweichmanöver beenden und dann wird sich meine Situation verändern und somit auch meine Persönlichkeit, denn ich habe neue Fähigkeiten dazugelernt, habe Erfahrungen mit deren Anwendung gemacht und habe damit mein Selbstbild und mein Empfinden meiner Selbst und meines Umfeldes verändert. Und damit habe ich mich und mein Verhalten verändert.

Manchmal geht es schnell und man erkennt es, ein anderes Mal kann es Jahre dauern, bis wir zur Einsicht bereit sind. Der Einsicht folgt ein Verstehen und nach dem Verstehen sollte sich der Wille in Gang setzen, tut er es nicht, haben wir es noch nicht verstanden und der Nutzen von schädlichem Verhalten ist immer noch größer als der Gewinn einer Veränderung. 

Welche Verhaltensweisen wir in unserem Werkzeugkasten parat haben, welche in der hinteren Ecke und welche ganz vorn im Regal liegen, hängt natürlich von unseren Erfahrungen, Gewohnheiten und Glaubensmustern ab, und die Prägung der ersten Kinderjahre werden wir sicher kaum los. Dennoch, was wir davon nutzen, was nicht, und was wir bereit sind neu dazu zu lernen, das obliegt unserer Entscheidung – wie gesagt, was wir brauchen ist ein hellwaches Bewusstsein.

Und doch... eines ist mein Leben lang gleich geblieben, der Wille zur Veränderung.



Samstag, 27. September 2014

Meditation - Disziplin oder AchtsamkeitsÜbung ?



 
Wenn ich diesen Worten begegne, mache ich meist einen großen Bogen um sie. Ich bin die permanente Unruhe in mir so sehr gewöhnt, dass ich mich vor der Ruhe fürchte. Stille ist etwas anderes, sie tut gut, sie ist der Gegenpol dessen, was in mir ist. Die Stille beruhigt, aber es bleibt immer eine Restbewegung in mir.

Meditation hat für mich mit Arbeit und Disziplin zu tun - Pflichterfüllung, das Wort fühlt sich an, wie die Hand des Vaters, die mich in mein Zimmer bringt und mir sagt: „setzt dich hin, sei still und übe“. Diesen Vater hatte ich übrigens nie.

Ich konnte als Kind schon nicht still sitzen und galt als „schwer erziehbar“, weil ich keine Regeln anerkennen konnte. Disziplin hatte für mich immer mit Gewalt zu tun. Ich mag es heute noch nicht, wenn man mir vorschreibt, was ich zu tun habe.
Ich wehre mich gegen jede Form von Grenzen, vergesse dabei aber auch, selbst welche zu setzen - hin und wieder, denn es wird besser.
Die Grenzen des Anderen sind mir heilig, manchmal zu heilig. Meine „Heiligkeit“ hat mir schon so manche Begegnung verwehrt.

Ich gehe zurück, zu mir, trete in mich ein, schließe die Tür hinter mir und liefere mich mir selbst aus. Jetzt lausche ich meinem inneren Lärm – Kopfkino – ein Schwall durcheinander wirbelnder Bilder, haushohe Papierbögen voll geschrieben mit Worten und Sätzen, untermalt mit Zeichnungen, die Schnittmustern gleichen. Regale voller Überlegungen, riesige Arbeitstische auf denen Ideen liegen. Manche seit Jahren konserviert. Der Boden unter mir ist belegt mit Erklärungsversuchen. Ich denke oft, ich habe etwas Autistisches an mir.
Ich sehe mich um – muss erst einmal Platz schaffen um mich niederlassen zu können. Wo gibt es hier einen Ruhepol? Ich denke an einen Traum und sehe das große alte Zimmer wieder mit den breiten rot gebohnerten Holzdielen. Alte Möbelstücke und schwere Samtvorhänge bilden ein groteskes Durcheinander. Alles verstaubt, ich trage mehrere Leben mit mir herum, setze mich endlich auf eine alte Holzkiste – schweige.

Ich harre der Dinge, die da kommen und finde den Fluss wieder, der sich lebhaft durch sein Bett gräbt, höre das Gluckern und Sprudeln des Wassers und begebe mich in seine kalte Dichte. Ich war siebzehn Jahre alt, als Herrmann Hesse mich mit seinem „Siddartha“ beeindruckte, den er am Fluss seine Erleuchtung finden lies und hoffe immer noch, Jahrzehnte später.
Auf was warte ich eigentlich? Was erhoffe ich mir?
Meine Gedanken ziehen mit dem Wasser davon und ich lasse sie gehen. Ich brauche keine Antworten, nicht jetzt.
Der Fluss nimmt alles mit sich, was ich war und bin, was bleibt ist bedeutungslos. Ich bin bedeutungslos und verliere das Ich. Welch eine Erleichterung. Die Lasten schwinden, Schwerkraft zerfällt. „Gleichgültigkeit“ ist die stille Antwort des Flusses und ich bleibe lange an seinem Ufer sitzen.

……………..


Jetzt trenne ich den Fluss von mir, entziehe ihm alles, was er mir genommen hat und sammle es ein. Ich hole Luft, als hätte ich Stunden nicht geatmet und mir wird übel. Die Physik nimmt wieder Besitz von mir, ich kann sie nicht leugnen, ich will leben. Ich bin ein Komet mit einem langen Schweif und brenne im Flug durch das Leben. Der Komet wird verglühen, Materie verbraucht sich und es bleibt GLEICH-GÜLTIG.

Die Stimmen im Kopf sind ruhiger, sie reden nicht mehr durcheinander, jetzt hören sie sich gegenseitig zu, lassen sich ausreden – sind achtsam.




Freitag, 26. September 2014

Die Idee vom "Nicht-Ich"



Text aus dem Jahr 2009

Vor einigen Tagen entschied ich mich, auf Grund diffuser Unzufriedenheiten mit meinem Ich, nach einer Art Mentor zu suchen, und da ich aus Erfahrung wusste, dass es mir auf dieser Welt sowieso niemand recht machen  wird, suchte ich diesen Mentor in meinem Inneren. Ich hatte ja schon ein wenig Übung mit dem Hören nach innen.
Es dauerte nicht lange, da zeigten sich auf meine Fragen hin Antworten in Form von spontan einfallenden Gedanken, die ich sofort nieder schrieb.
Mein Mentor zeigte sich als logisch denkendes, erwachsen anmutendes und geduldiges Wesen. Er nahm mich an, wie ich war, schien mich schon einige Zeit zu kennen und stellte mir hin und wieder recht provokante Fragen, war aber auch durchaus in der Lage, mir komplizierte Dinge ganz einfach zu erklären.
Was mir besonders an ihm auffiel war, dass er mir sehr viel Freiraum lies und mit einer endlos scheinenden Geduld irgendwo neben mir herging.
Gleich, welche Frage ich stellte, eine Antwort lies nicht lange auf sich warten. Allerdings, die richtigen Fragen zu stellen erfordert ein gewisses Maß an Übersicht. Immer noch drehte sich alles um mein Ich und mein Mentor drehte sich geduldig mit, bis ich ihn eindeutig bat, mir eine Art „Erleuchtung“ teil werden zu lassen.

Einige Tage später fiel mir ein buddhistisches Lesewerk in die Hände, das ich schon mehrfach durchgearbeitet hatte. Und wieder las ich es mit Bewunderung einerseits und mit ablehnender Skepsis andererseits.
Es versuchte eindeutig mein Ich zu vernichten!
Die Worte „Mitgefühl“ und „Altruismus“ waren mir schon vertraut, und ich hielt sie auch für wichtig, aber die Forderung, an nichts mehr auf dieser Welt zu hängen, von allem loszulassen, danach zu streben, diese Welt  zu verlassen und bloß nicht wieder geboren werden um endgültig dem Leid zu entkommen, in dem ich die Existenz meines Ich einfach für nichtig erkläre, das ging mir zu weit, und hinterließ in mir ein Frustgefühl. Ein Gott, der mich auffängt und in eine Art Himmel begleitet war auch nicht in Sicht. Jetzt verlor ich endgültig den Boden unter den Füßen und mein Leben fühlte sich schwammig an.

Es gab nichts mehr, an das ich wirklich glaubte und stellte weiterhin den Sinn dessen, was ich dachte und tat in Frage. Unbewusst schien ich dieses Ich längst anzuzweifeln. Was sich da so vehement wehrte war wohl mein Ego, der Verteidiger des Ichs. Er argumentierte damit, ich könne mich doch nicht zum Opfer meines Umfeldes machen, indem ich das Wohl des Anderen vor mein eigenes stelle.
Bisher stand ich auf dem Standpunkt, zuerst kümmere ich mich um mein eigenes Wohl, und dann um das eines anderen, denn wer profitiert von mir, wenn ich nicht in Ordnung bin? Klingt erst einmal logisch.
Wahrscheinlich war es für den Entwicklungsstand auf dem ich war auch angebracht, sonst wäre ich wohl nicht weiter gekommen. Doch je mehr ich mein Ich verteidigte, desto schlimmer wurde alles, immer mehr Schutzmauern waren nötig, um ungewollte Eindringlinge fernzuhalten. Der Schuss ging nach hinten los und  es kam der Tag, an dem dieses Denken seinen Sinn verlor, das wurde mir immer bewusster.

Meinem Drängen nach „Erleuchtung“ wurde scheinbar nachgegeben, als ich zufällig in einem der dritten Programme im Fernsehen einen buddhistischen Mönch sprechen hörte. Die Sendereihe mit dem Namen „auf dem Pfad der Erleuchtung“ brachte einige interessante Gespräche mit geistig weit gereisten Menschen.
Nun konnte mir jemand endlich erklären, was es mit dieser Erleuchtung auf sich hat.
Erleuchtung ist die Erkenntnis über die Illusion des Ichs. Ja, da war es wieder, das Ich und seine bevorstehende Eliminierung durch Einsicht. Durch diese Erklärung allein konnte ich jedoch zu dieser Einsicht nicht gelangen.
Man sagt, durch Meditation könne man zu solchen inneren Erlebnissen kommen. Dieser Mönch saß bis zu fünfzehn Stunden am Tag und meditierte. „Du musst bereit sein, auf diesem Kissen zu sterben“ sagte er. Allerdings fügte er auch hinzu, dass es sicher auch andere Wege zur Erleuchtung gäbe, als ZaZen zu praktizieren. Das beruhigte mich unwahrscheinlich.

Ich war nie ein Freund vom „Still sitzen“.  Es fällt mir wirklich schwer, aber es ist möglich, wenn ich will, doch kommt nicht viel dabei heraus.
Bei mir entspringen die Ideen, Erkenntnisse und die surrealsten Kreationen während der Bewegung. Ich lebe und bewege mich, handle und beobachte, das ist meine Meditation, wobei ich keinesfalls ausschließen will, dass die stille, sitzende Meditation andere, mir vielleicht unbekannte Ergebnisse zeigt.

Ich begab mich also in eine meiner Meditationen, schnitt einem Hund die Haare, und dachte über das Ich nach.

Da war aber nichts, über das ich hätte nachdenken können, und beobachtete jeden meiner Handgriffe. Wer entscheidet in mir, was ich gerade tue, wenn es kein Ich gibt? Wer beobachtet die Handgriffe, wer beurteilt das Ergebnis? Da ist ein Bewusstsein, das alles wahrnimmt, wie eine Sammelstelle von Eindrücken. Es scheint sich zu bewegen, zu reagieren auf ein Umfeld und auf ein anderes Bewusstsein einzuwirken, so dass dieses wiederum reagiert und sich bewegt. In diesem Falle war es das Bewusstsein des Hundes, welches ich ihm jetzt unterstellen muss. Was reagiert da, was bewegt sich da, ich bekam es nicht wirklich zu fassen. Ein substantielles Ich war schon gar nicht zu finden.
Ich spürte meine Hand, das Fell des Hundes und die metallene Schere. Da sind nicht wirklich Grenzen. Die Bewegung des Hundes war auch meine Bewegung, nahtlos gingen sie ineinander über.
Das Bewusstsein des Hundes schien mit meinem verbunden zu sein. Inwieweit unterschieden sie sich wirklich voneinander?
Und da kam die Idee von einem übergeordneten Gesamtbewusstsein.
Gedacht hatte ich diesen Gedanken schon öfter, aber die Reichweite der Konsequenz dieses Gedankens war mir nicht klar geworden. Ich hatte ihn nie zu Ende gedacht.

Ein Gesamtbewusstsein aller lebenden und empfindenden Wesen würde ein persönliches Ich überflüssig werden lassen. Das persönliche Ich ist ein Konstrukt psychologischen Denkens, eine Idee aus der Neuzeit, die vielleicht ein überproportionales Ego hat entstehen lassen? Wenn die Idee vom Ich so überdimensioniert groß ist, wundert es mich nicht, dass wir uns in dem Wahn, wer sein und was haben zu müssen, voneinander abgrenzen, uns gegenseitig zerstören und unsere Umwelt gleich mit dazu.
Wenn das das Resultat einer Vorstellung vom Ich ist, muss daran etwas krank sein.

Angenommen, das Ich ist wirklich eine Illusion, und nichts weiter als ein substanzloses Gedankenkonstrukt, was sollte ich dann schützen? Wofür kämpfen? Was würde ich da opfern, wenn ich altruistisch wäre?

Ich stelle mir ein universelles Gesamtbewusstsein vor, das sich scheinbar selbst erleben will, in dem es sich in unterschiedlichen Lebensformen „äußert“. Äußern heißt für mich, sich von innen nach außen kehren, und damit materielle Substanz annehmen um wirken zu können in einer „Wirklichkeit“.

Nun muss ich noch etwas dazwischen fügen. Wenn ich ein Bild male, und mich völlig darauf verlasse, intuitiv das Richtige zu tun, ohne es selbst vorher zu planen, entstehen die besten Arbeiten. In einem solchen Fall sage ich, nicht Ich male das Bild, sondern Es malt sich selbst.

Damit möchte ich verdeutlichen, dass sich hier dieses Gesamtbewusstsein gezeigt haben könnte. Wenn dies der Fall ist, wäre es ebenso möglich, dass alles, was ich tue, nicht ein Ich tut, sondern Es, also, dieses Gesamtbewusstsein, eine Art höheres Selbst, was dann aber ebenso das höhere Selbst eines anderen wäre.
Dieses universelle Bewusstsein zeigt sich in mir ebenso wie in meinem Gegenüber und in allen anderen Lebewesen. Dies könnte den wissenschaftlichen Nachweis darüber erklären, dass das Gehirn scheinbar schon eine Entscheidung in Bruchteilen von Sekunden vor meiner bewussten Wahrnehmung getroffen hat.

Was jedoch viel wichtiger erscheint, ist die Sache mit dem Mitgefühl. Jetzt macht es wirklich Sinn ein anderes empfindendes Wesen in meine Entscheidungen und Handlungen auf liebevolle Weise mit einzubeziehen, da ich ja vom Befinden meines Gegenübers ebenso betroffen bin, wie von meinem eigenen. Dies würde eine ganz neues Licht auf das Thema Liebe werfen.
Ich sehe dieses übergeordnete Bewusstsein als ein in sich bewegtes, farbenfrohes, Raum und Zeit übergreifendes sich selbst erleben. Es trägt scheinbar alles Wissen in sich und ist zu unbegrenzt intelligenten Entscheidungen fähig. Jedes lebende Wesen ist ein Teil dieses Bewusstseins und agiert als solches.
Wenn ich mit dieser Idee im Kopf einen anderen Menschen dabei beobachte, wie er mit mir spricht, wir mit einander und untereinander kommunizieren und interagieren, mit Worten, Blicken und Gestiken, jeder inneren Regung, sehe ich ganz ohne einen Hauch von einem Anspruch an ein eigenständiges unabhängiges Ich einen Tanz, eine Interaktion dieses Gesamtbewusstseins, und empfinde Freude und Mitgefühl über das, was da zwischen uns geschieht.
Dies ist ein völlig anderes Erleben, als den ständigen Gedanken  zu haben, mich vor dem anderen abgrenzen und schützen zu müssen, ihm und mir beweisen zu müssen, der stärkere oder mindestens gleich stark zu sein. Das ist eine zerstörerische Kriegsstrategie eines egoistischen Bewusstseins gegen sich selbst. Es ist ähnlich, als würde das Immunsystem gegen den eigenen Körper vorgehen, was ja durchaus als Erkrankung existiert und zur Zerstörung des ganzen Organismus führen kann.

Nun gehe ich nicht davon aus, dass wenn wir einem Gesamtbewusstsein untergeordnet sind, keine Eigenverantwortung tragen, ganz im Gegenteil, mein Gedanke sagt, jeder ist für den Zustand des Gesamtbewusstseins mitverantwortlich. Deshalb ist  es so wichtig, darauf zu achten, positive und liebevolle Dinge zu denken und zu tun, fürsorglich mit allem umzugehen. Die Farben der Gedanken und Gefühle spiegeln sich im Licht der Wirklichkeit wieder. Ich denke, dass wir so unser Schicksal selbst erschaffen.

Auf dieser Welt ist es nicht möglich zu leben, ohne ein lebendes Wesen zu töten und wenn es die kleinsten Einzeller sind. Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Buddhisten danach trachten, diese Art Lebenszustand durch endgültige Erleuchtung zu verlassen, um diesem Leid ein Ende zu bereiten und dem Gesamtbewusstsein damit eine lichtere Färbung und liebevolleres Befinden zu ermöglichen. Wenn man sich selbst als Teil dieses Bewusstseins betrachtet, dann ist dieses Bestreben nur all zu verständlich.

Es ist ein völlig anderes Lebensgefühl, mit dem Gedanken durch die Welt zu gehen und anderen zu begegnen, dass wir alle Ein und das Selbe Bewusstsein haben, dass ich im anderen mir selbst begegne und er sich in mir begegnen kann, dass das Leben ein ständiges Reigen und Tanzen ist, in dem sich ein grenzenloses Bewusstsein selbst erlebt und die Kommunikation wie ein Lebenselixier alles in Bewegung hält. Ob dieses Bewusstsein sich gut oder schlecht fühlt liegt ganz in unserem Ermessen.

Dabei ist es völlig gleich, wem gegenüber ich mich liebevoll verhalte, ob einem Nahe stehenden oder einem Fremden, derjenige, der am meisten Hass und Angst in sich trägt hat am meisten Liebe nötig. Und da ich davon ausgehen kann, dass ein Ich keine Substanz hat, und nicht wirklich existent ist, brauche ich mich darum auch nicht zu sorgen. Worum ich mich „Für-sorge“ ist unser Gesamtbewusstsein.




Dienstag, 23. September 2014

Perlenschnur




Mein Lachen zwengt sich durch Blöcke
die zu Wänden werden
doch es zieht mich hinter sich her
das Lachen ist mein schmaler Gang
durch unwegsames Gelände
vermint
und ich weiß wo sie liegen
die Vergangenheit
ein Kriegsgebiet
der Boden zerbombt
in der Mitte das große Loch
tief – kalt
wieder stehe ich
nach so langer Zeit
vor diesem Krater
habe einen Teller Suppe
über das Land getragen
sie verschüttet
und mir die Hände verbrannt
zu schnell gelaufen
einen Augenblick nicht hingesehen
und gegen dieses Bild gerannt
das mich erinnerte
zurückführte
zum Krater

Schmerz

trotzdem
ich steige hinab
ich kenne den Weg
unten kocht die Suppe
auf dem Feuer
ich hielt sie für kalt
sie brodelt
raumgreifend
ein Fisch druchgräbt den See
und wirft die Toten empor
kann ihm nicht Einhalt gebieten
er bestimmt die Gangart
und er ist wach
es steigen Perlen auf
aus altem Holz
einst in die Tiefen abgetaucht
um mich zu schützen
ich kenne sie
und hoffte
auf Verwesung
Wasser konserviert das Holz
und Gespenster sind treu
so halte ich die Schnur erneut
und reihe meine Perlen auf
eine an die andere
kleinere und größere
doch alle sind sie schwarz
in der Finsternis des Kraters
dort schlug einst die große Bombe ein
und warf ihr Licht auf all die anderen
und ich
ich hatte wieder nicht auf sie geschaut
und ließ es zu
einmal zu viel
nicht rückgängig zu machen

Fahrlässigkeit
Gift in mir
Eisenklammer im Herz
fünfzehn Minuten
ausgeliefert – hellwach – gelähmt
Angst
die man nicht beim Namen nennen kann
umrahmt und geziert mit Lüge und Feigheit
Vertrauen zerstört
wieder und wieder
mit einer dieser Perlen

der Komet hat einen langen Schweif

doch die Seele ist verziert
mit einer schwarzen Perlenschnur.







Samstag, 20. September 2014

Isolationshaft oder Stella redet...





Wenn Schnitte in der Seele schmerzen, zieht sie sich zusammen – dachte sie und schloss ihre Türen. Jedes Wort von ihr war eines zu viel. Jedes Unverständnis von außen war ein weiterer Schnitt, eine weitere Wunde. Sie konnte sich keine mehr leisten also schwieg sie. 
Man bemerkte ihr Schweigen nicht und das war gut so, sie bewegte sich auf der Oberfläche und niemandem fiel auf, dass sie schwieg.

„Isolationshaft“ war eines der Worte, mit denen sie ihren Zustand zu beschreiben pflegte und ein fast schon zynisches Lächeln huschte ihr unbemerkt über die Lippen. Ein Wort musste reichen, um alles zu sagen.

Immer wieder in immer kürzeren Abständen lief dieser Film vor ihren Augen ab, die ganzen Jahre, bis heute. Selbst in diesem Film schienen sich Sequenzen immer zu wiederholen und auch dies geschah in immer kürzeren Abständen, bis sie das Gefühl hatte, eine Platte wäre hängen geblieben und spielt ständig die selbe Stelle eines Stückes wieder. Diese Szenerie hatte etwas ekelhaft Provokantes an sich. Jeder Morgen war der selbe wie gestern, jeder Abend bedeutete einfach nur einen Tag weniger, den sie noch vor sich hatte. Die Stunden dazwischen brachten keinen Zugewinn. Sie fühlte jeden Tag deutlicher, wie sich ein beängstigender Mechanismus in ihr verselbständigte. So ähnlich musste es sein, wenn eine Körperzelle ihrer zugeordneten Aufgabe nicht mehr gerecht werden kann und der Prozess der Selbstzerstörung einsetzt. Warum sollte das nicht auch für einen kompletten Organismus gelten?

Isolationshaft – man befindet sich so lange darin, bis es sich entschieden hat, ob man noch lebenstauglich ist oder nicht. So dachte sie und fragte sich, wofür sie so bestraft würde von wem oder was auch immer, sich selbst, von all den fatalen Entscheidungen, die sie im Leben getroffen hatte und die sie jetzt genau an diesem Punkt ankommen ließen, auf diesem Platz, auf dem es scheinbar kein Entrinnen gab, keine Flucht mehr und schon gar nicht nach vorn. 
„Ich habe mein Leben an die Wand gefahren“ und von dieser Wand kommt man nicht mehr los – glaubte sie und schwieg, bis zu diesem verregneten Tag an dem dieses eine Bild so lebendig und erschütternd mitten in ihrer Seele explodierte, dieses Bild, begleitet von dem schockierenden Gefühl von Wahrhaftigkeit und ihr Körper von lebensbedrohlicher Angst gepackt zusammenfuhr.

So deutlich fühlte sie die Klinge in ihrer Magengrube welche alles voneinander zu trennen schien. Dieser Akt würde den endgültigen Auflösungsprozess einleiten – diese Entscheidung wäre unwiderruflich.

Sie stand auf, ihre Knie zitterten ein wenig und sie löste sich unmerklich aus dem oberflächlichen Gespräch mit ihrem Gegenüber und stieg die Treppen hinunter in ihr Kellergeschoss in dem sie seit Jahren lebte.

„Es muss aufhören – das will ich nicht, nicht so, ich habe doch etwas anderes verdient!“ Dies war der erste Schrei nach Leben, den sie nach so langer Zeit ausgestoßen hatte. Sie ging in ihr Zimmer, verschloss die Türe hinter sich und zog die Vorhänge zu – ließ den kalten Dezemberregen draußen und setzte sich auf ihren Sessel. 
Denken, wie jeden Tag, Stunde um Stunde der Versuch, Ordnung herzustellen und immer dieselbe Erkenntnis, dass der Denkprozess keine Ordnung schaffen kann, er schafft nur noch mehr Worte – es muss aufhören. 

Wieder dachte sie an die Körperzelle, ihren Zellkern und den genetischen Code. Woher nimmt die Zelle das Wissen darüber, welchem Zweck sie dient und welche Aufgaben sie zu erfüllen hat – vielleicht kennt auch die Zelle den Zweifel und beginnt so allmählich zu entarten, indem sie ihre natürliche Aufgabe „in Frage“ stellt, ihr einfach nicht folgt. Verrückter Gedanke, sie wusste es, und trotzdem wagte sie sich daran zu denken, auch sie selbst habe einen genetischen Code, einen Zugang zu ihrem tiefsten Inneren, das weiß, was sie zu tun hat und wer oder was sie wirklich ist. Sie erinnerte sich, dass es da etwas in ihr gab, dem sie vertrauen konnte, ein intuitiver Impuls aus dem Informationen fließen, vorausgesetzt man klebt nicht, wie sie, an dieser Wand. Sie sah sie deutlich vor sich, so hoch und so breit, dass sie deren Enden nicht überblicken konnte. Die letzten Schritte vor diese Wand könnten in umgekehrter Form die ersten sein, die davon wieder wegführen, sprach diese Stimme in ihr, welche sie so lange nicht mehr gehört hatte. Sie wagte den Ersten, dann den nächsten und so ging sie einige Schritte zurück, so lange, bis die Wand immer kleiner wurde und nun wie ein Block vor ihr stand. Allmählich wurde ihr bewusst, dass es die Richtung ihres Denkens war, das sie immer näher an diesen Block heran trieb, so lange, bis sie vor dieser unüberwindlichen Wand stand. Wäre sie frühzeitig abgebogen, sie hätte den Block umgehen können, sie hätte nur ihre Aufmerksamkeit anders ausrichten müssen und ihr Weg hätte sich geändert, aber sie hatte stur weiter auf diesen einen Block gestarrt, bis sie mit dem Gesicht davor stand. Als sie dies erkannte, hatte sie bereits viele Stunden vor ihrer Staffelei gestanden, und von tiefsinniger Musik begleitet ihr Inneres endlich nach draußen gemalt, sich selbst auf der Leinwand verständlich gemacht. Ein Denkprozess hätte dies niemals vermocht.   
„Jetzt bin ich mir selbst verständlich“ dachte sie, folgte den Linien und symbolträchtigen Formen und lächelte. Wer dies jetzt versteht, versteht auch mich, dem bin ich nicht fremd. Isolationshaft beendet? Zumindest stand die Türe offen und ein Teil von ihr trat ins Freie.
Es hat noch viele Monate gedauert, bis sie so viel  von sich ins Freie brachte, dass sie wieder erkennbar war, wieder wahrnehmbar, auch von sich selbst.

Allmählich entwickelt sich ein Bild von ihr – eines, das ihr noch nie erlaubt war zu sehen.
Sie verankert bewusst Teile von sich im Außen um diesen Zugang nicht mehr zu verlieren. Mit wem sie sich wahrhaft verbindet wird im tiefsten Inneren bewusst entschieden – jede Tat, jede Handlung, jeder Gedanke begleitet von dem aufrichtigen Wunsch nach einem authentischen Dasein im Augenblick – immer, jetzt und hier. Dies ist ihr Fundament, der Punkt der Mitte zu dem sie immer wieder zurückzukehren weiß – denn, wenn sie jetzt geht, legt sie Spuren.


Montag, 15. September 2014

Rhythmus lebendiger Aktionen


Still stehe ich in mir und sehe mich um. Mein Blick gleitet an schimmernden Wänden entlang, die geschmeidig weichen vor meinem inneren Eindruck, sich weiten, so, wie es der Gedanke fordert. Ich schaffe Platz in mir um mich auszudehnen, erhelle meinen Raum und werfe meinen Blick auf den Punkt meiner Aufmerksamkeit. Hier beginnt was noch nicht ist und geschaffen wird durch einen Willensakt, gepaart und begleitet unzähliger kleinster Teilchen gefüllt mit Information. Ausgangspunkt unbekannt.
Intuitiv ergreife ich die Chance der Gegenwart und schleudere gezielt alles mir zur Verfügung stehende in meinen Raum von Wirklichkeit und meine Augen weiten sich in unermesslichem Bewusstsein um zu erfassen, was geschieht. Ich lenke, steuere, rausche mit unbeschreiblicher Geschwindigkeit von hier nach dort und hinterlasse Raumzeit.
Jede meiner Bewegungen macht Linien sichtbar deren Farben Intensionen zeichnen – und ich weiß warum…

Ich verharre kurz, ganz kurz – achte auf die Schnittmuster im Außen, suche mein Ziel und jage durch die Augen darauf zu. Ich treffe und der schillernde Glanz blendet die Nacht.
Wir haben gesiegt und die Welt weiß es – sie sehen uns.
Ich folge deinen Linien, sehe dir beim Zeichnen zu, gehe auf in deiner Bewegung und verneige mein Haupt vor deinem Lebensbild. Achtsam schreite ich vorüber und hinterlasse meinen Zauber von Farben, der jede deiner Unebenheiten verzeiht. Wir schaffen Muster mit Lücken, ergänzen uns, behindern uns nicht – verändern uns gegenseitig, nehmen Einfluss – werden heil, für einen Augenblick.

Leben hat sich bereichert an sich selbst.

Den Sinn einer Begegnung erfüllt, kehre ich heim in mich, schließe meinen Raum und pflanze die Erinnerung ein wie einen Baum – er wird Früchte tragen.

Reicher denn je schließe ich die Augen, finde tiefste  Ruhe in mir und warte – in der Gewissheit einer Wiederkehr.

Linien in Räumen


 
Menschen machen Linien in Räume
verschleiern ihre Augen
rufen und reden
übertönen alle Formen
welche leuchtend flimmernd
von Beziehungen zeugen
die Zeichnungen bilden
in Räumen
wie Schnittmuster
doch sie sehen es nicht
fühlen es nicht
irren wie Blinde
quer durch unsichtbare Welten
schwimmend auf der Oberfläche
die sie sich geschaffen haben
in der Hoffnung auf Halt

Welch eine Welt!

Ich stehe staunend
sehe ungläubig auf die Linien
sie formen Kreise mit Kanten
schlagen aus
vereinen sich
unkontrolliert
mit Folgen
die keinem ins Bewusstsein dringen
sie bersten, reißen
splittern
stören und schneiden sich
und keiner greift ein
man leidet
gekonnt verborgen
unter Deckmänteln
des Anstandes
das Ich verkriecht sich
hinter subtil formulierter
Verallgemeinerung.

Ich stehe im Raum
durchbohrt von Linien
überschüttet von fremden Farben
gequält von Misstönen
fühle Entsetzliches
und sehne mich
zurück nach mir
fließe erneut in den Raum
und seinen Verschnitt
versuche einzugreifen
suche empfindliche Enden von Fäden
berühre sie
und sie verharren in Verwunderung
blinzeln staunend
erschrecken vor sich selbst
um sich am Ende
abzuwenden
und nach der sicheren Scholle zu greifen
die sie zurück zu ihrer Oberfläche trägt
und ich
verabschiede mich
in der Gewissheit
dass es dies nicht ist
und niemals sein wird
denn ich brauche den Raum
um Linien zu zeichnen
halte Ausschau nach Augen die sehen
nach fähigen Händen
um in vollem Bewusstsein
Formen zu schaffen
Welten zu zeichnen
Leben vibrieren zu lassen
ursprünglich und gewollt.





Dienstag, 9. September 2014

Meine Saat in deinem Boden




deine Flügel
gebrochen
in meiner Hand
dein Schmerz zerschneidet
meine Seele
du frierst
und ich zittere
du trauerst
und ich weine
benetze deine Haut
mit meinen Tränen
die dadurch
nicht wärmer wird
deine Augen
haben alles vergossen
sind leer
und ich kann sie nicht füllen
ich schenke dir mein Lächeln
doch dein Mund bewegt sich nicht
was trennt uns
was zwingt mich
den Blick von dir zu wenden
und dich
in dieser Endloswüste
zurückzulassen
mit den gebrochenen Flügeln
deinem schmerzenden Frieren
und diesen Augen
als wärest du dem Tod geweiht

ich knie nieder vor deinem Sterben
vergrabe mein Herz
wie  Saat in deinem Boden
und hoffe
und bete
wie tausende Male
zuvor
ich teile deine Endloswüste
für eine Zeit
mit dir
so lange
bis mein Atem aufgebraucht
der deine Seele nährt
und das Wasser vergossen ist
von dem du hättest trinken können
doch
jetzt muss ich weiter gehen
dich deinem Sein überlassen
und vertrauen darauf
dass alles hat seine Zeit
alles hat seinen Sinn
und du hast deinen Weg

auch ohne mich
und ich
auch meinen
ohne dich.

(Text  November 2013)



Montag, 8. September 2014

Entblättert



Endlosgeschichte
schwirrt und kreist
bedeutungsgeladen
schwer durch den Gedankenraum
drängt mich
zwingt mich
in ihr Inneres
Sätze geballt
wie ein Ameisenstaat
Milliarden von Worten
übersähen den Boden
und versperren den Weg
zum Wesentlichen
so greife ich ein
und entblättere
Schale für Schale
die Frucht meines Fühlens
und dringe ein
ins empfindende Ich
und am Ende bleibt
nur dies eine Wort
welches schwingt
in sich
und doch nicht reicht
um dich zu finden
so greife ich ein zweites Mal
in dessen Mitte ein
und löse es
von innen auf
es zerrinnt in meiner Hand die Glut
das Herz zersprengt Gedankenräume
es bleibt was wahrhaft ist
jetzt
wo kein Wort mehr Kräfte bindet
berühr ich dich
in dem Moment
in dem ein Funke Feuer wird
und Feuer wieder Asche
nichts bleibt so
wie es ist
doch heilig ist
der Augenblick




Fliehen

  Es reißt das Leben Lücken In dein Auffangnetz Unbarmherzig Unvermutet Ohne Vorbereitung Es will halten, es will schützen ...