Eines frühen Morgens, es war noch keine vier Uhr, bebte der
Boden unter seinem Bett so heftig, dass er trotz seines hohen Alters die dürren
Beine mit einem Ruck über die Bettkante warf. Es war keine Zeit mehr, in die
Pantoffel zu schlüpfen, oder in den alten kratzigen Morgenrock. Im Schlafanzug
hetzte er zum Fenster und starrte ins Morgengrauen.
Im Garten vor seinem kleinen Haus rüttelte der Wind am
trockenen Gestrüpp. Die Sonne würde bald wieder ihre sengenden Arme in den
Boden stecken und dem spärlichen Gemüse den letzten Tropfen Wasser rauben.
Im Fluss war nicht mehr all zu viel vom silberblau
schimmernden Nass und die Tiere versammelten sich tagtäglich an den selben
tiefen Wasserlöchern.
Das was den alten Mann seit so vielen Jahren in dieser
Gegend hielt war das Gold im Fluss. Immer wieder fand er ein kleines Stückchen,
wusch es mühsam aus dem Sand und unterhielt sein karges Leben und seine Leidenschaft
damit.
Ein paar Jahre würde er vielleicht noch haben und was sollte
er tun, als das, was er schon sein Leben lang tat und am besten konnte, nach
Gold suchen. Was ihn trieb war diese Leidenschaft. Sie packte ihn jeden Morgen
von Neuem und seine Geduld schien grenzenlos. Er glaubte immer noch, nach so
vielen Jahren Schufterei an den einen großen Fund. Er ging einfach einer Ahnung
nach, die ihn hin und wieder überkam, wenn er in der Nähe des Flusses war. Oft
lauschte er dem Fließen des Wassers und der Fluss schien ihm zu erzählen, was
tief in ihm verborgen lag. Er sehnte sich nicht nach Reichtum, wie es die
anderen Goldgräber taten, er glaubte einfach daran, dass im Gold ein Geheimnis
verborgen war und er eines Tages diesem Geheimnis auf die Spur kommen würde.
Der Alte war schon immer etwas sonderbar, doch was er diesen
Morgen am Fluss erspähte, lies ihn an seinem Verstand endgültig zweifeln. Ein
Tier, so groß, wie ein Haus, auf vier Beinen, erhaben und stolz dreinblickend
erhob es sein Haupt und blickte weit über die Landschaft. Es spitzte die Ohren
und für einen Augenblick glaubte der alte Goldgräber es würde zu ihm rüber
sehen.
Der Alte rannte barfuß über den staubigen Boden, der
fallende Stuhl kümmerte ihn nicht und er riss in einem Ruck die Haustüre auf.
Wie versteinert stand er nun vor seinem kleinen Haus und starrte auf dieses
Tier, welches sich im dämmrigen Morgenlicht anmutig bewegte. Einer schlanken
Katze glich es mit einem langen Schwanz und glänzendem Fell. Es neigte seinen
Kopf zum Wasser hinab und begann zu trinken. Es dauerte nicht lange und der
Fluss leerte sich.
Besorgt verfolgte der Alte das Spektakel und sah all seine
Hoffnung und Zukunft samt dem Wasser in der Katze verschwinden. Das Tier hatte
seinen Durst gelöscht, der Fluss war ausgetrocknet und die Augen des seltsamen
Wesens schienen den Alten nun wirklich zu durchbohren. „Durch deinen Schmerz
wirst du dein Glück finden!“ hörte man die Worte des Tieres über das Land zu
dem Alten Goldgräber hinübergrollen. Dann begann die Katze ihre Farbe zu
verändern, das braune Fell begann zu glänzen, wurde zu Gold und erleuchtete den
Tag heller, als die Morgensonne es jemals hätte tun können. Sie hatte alles Gold
aus dem Fluss geholt und in sich gesammelt. Der alte Mann fiel auf seine
blanken Knie und weinte. Das Gesicht in den Händen vergraben versuchte er dem
grellen Schein des Lichtes zu entkommen. Als er wieder aufzuschauen wagte, sah
er, wie das große Tier ins Land zog und am Horizont verschwand.
Traurig und nachdenklich ging er in sein Haus zurück. Er aß
sein letztes Stück Brot, trank die Milch seiner Ziege, füllte den Rest in eine
Flasche und zog sich seine Kleider an. Den Rucksack auf dem Rücken ging er in
den Garten und ließ die Ziege frei, pfiff dem Hund, der sich daraufhin mühsam
erhob, sein staubiges Fell schüttelte und seinem Herrn folgte.
Nur den Spaten nahm der Alte Mann mit sich und folgte damit
einer Stimme in sich, die ihm flüsterte, was er zu tun habe.
Mit seinem Hund ging er in den Tag hinein, der Sonne
entgegen, die erbarmungslos vom Himmel regnete. Sie folgten der Spur der großen
Katze, denn nur sie konnte der Sinn für seine Reise sein von der er nicht
wusste, wohin sie ihn führen würde.
Seine Gedanken kreisten unaufhörlich um all die Tage, die er
am Fluss verbracht hatte, die kleinen leuchtenden Goldstückchen, die er bergen
konnte und die gerade so reichten um ihm am Leben zu erhalten. Wieder und wieder
trat ihm die Frage, ob sich denn all die Mühe gelohnt habe in die immer leere
Magengrube. Das schmale Gesicht des Alten war gegerbt von der Sonne, jede Falte
zeigte die Art, wie er ins Leben sah und hätte er einen Spiegel gehabt, hätte
er sehen können, wie schön dieser Anblick war, aber er hatte keinen.
Drei Tage war er mit seinem Hund gegangen und es war längst
keine Milch mehr in der Flasche, da setzte sich der Alte unter einen kargen alten
Baum. Dem Hund hing die Zunge aus dem Hals und seine Augen waren matt und blinzelten,
als wolle er der Wirklichkeit entfliehen. Das verfilzte Fell klebte an den
Knochen, das Fleisch brauchte keinen Platz mehr. Als der Alte am Morgen darauf
erwachte, lag der Hund im Staub und rührte sich nicht mehr. Nun diente dem
Goldgräber der Spaten um das Grab für seinen Freund zu schaufeln.
Fünfzehn
lange Jahre war das treue Tier an seiner Seite und freute sich mit ihm über
jeden Fund. Nichts bleibt wie es ist, dachte der Alte und legte den Hund in das
Loch im Boden. Er wusste, den Rest seines Weges wird er alleine gehen müssen,
diese Mühsal konnte er nicht einmal seinem Hund zumuten und der Hund wusste es.
Vor den Füßen des Mannes erhob sich ein kleiner Hügel, das letzte, was an
Freundschaft erinnerte, eine Freundschaft mit einem empfindenden Wesen, das mit
dem Schwanz wedelte, wenn es sich freute und dem das Wasser aus den Augen
laufen konnte, wenn es traurig war. Es hatte sein Ende gefunden, das
Wesentliche suchte sich seinen Weg in einen anderen Raum einer anderen Zeit.
Der Alte war noch nicht so weit, das Neue lockte ihn und gab
ihm Kraft. Mit dem Spaten in der Hand trat er in den Tag. Er hatte längst die
Flussbiegung hinter sich, die er sonst von seinem Haus aus am Horizont noch
erblicken konnte, hier musste die Katze entlang gegangen sein. Der Boden war
sandig und es wuchs kein Grashalm mehr. Allmählich machte sich ein eigenartiger
Geruch bemerkbar und der Alte wusste, dass er diesem folgen sollte.
Plötzlich bemerkte er eine künstliche Anhäufung von Sand.
All zu lange kann dieser Haufen nicht dort gelegen haben, denn er war noch
feucht. Hier muss ein großes Tier gegraben haben. Er nahm seinen Rucksack ab,
der Wind kühlte augenblicklich seinen nass verschwitzten Rücken.
Dann begann er, mit dem Spaten die Anhäufung aufzugraben,
der beißende Geruch wurde immer stärker, er grub tiefer und tiefer. Plötzlich
stieß er auf etwas Festes. Die Sonne brannte auf die dünne Haut seiner
Schultern und färbte sie rot. Der Rücken schmerzte bei jedem Spatenstich und
das alte Herz hämmerte erbarmungslos hinter den Rippen. Jeder seiner Atemzüge
glich dem Hieb eines Messers in der Brust und das Blut wurde dicker und dicker,
wie die Finger seiner Hände, die fast zu platzen drohten.
„Was suchst du hier!?“ rief die sonst so sanfte Stimme in
seinem Inneren, oder war es eine andere?
Der Alte hielt inne, holte mühsam Luft und lächelte. Die
Stimme hatte recht, er wusste nicht einmal, wonach er suchte, sondern grub,
getrieben von einer Vorstellung, einer Ahnung, einer Vision für die ihn jeder
vernünftig Denkende schallend auslachen würde.
Er sah vor sich auf den Boden, und stellte fest, er gräbt
die Exkremente einer Riesenkatze aus dem Sand. „Ein Goldgräber im Katzenklo!“
keuchte der Alte aus dem trockenen Hals und lachte fast ein wenig höhnisch über
sich selbst. Sogar sein Hund hatte sich rechtzeitig von ihm abgewandt und aus dem Staub gemacht.
„Das kann man keinem erklären“, murmelte er vor sich hin,
wischte sich den Schweiß von der Stirn und grub weiter. Und wieder fühlte er
unter dem Spaten etwas Festes, hackte einige Male darauf herum und es
splitterten kleine Teilchen von einem harten Stück Katzenkot. Der aufsteigende
Gestank zog brennend durch die knorpeligen Nasenflügel des alten Mannes und
selbst die dichte Behaarung konnte ihn nicht aufhalten.
Welch ein Leid hatte
der Alte schon auf sich genommen in den Jahren seiner Goldsuche. Als kleiner
Junge schon musste er mit seinem Vater gehen und mühsam das Gold aus dem Sand
waschen und wie oft fühlte er den harten Knüppel auf dem Rücken, wenn er etwas
von dem feinen gelben Staub verloren hatte. Er träumte von einer Welt, die sein
Vater nicht zu kennen schien und in der Schule haben sie ihn ausgelacht,
getreten und angespuckt. Später hatte er
Frau und Kinder verloren in einer
Dürrezeit, ist des Nachts in seinem Bett überfallen und halb totgeschlagen
worden. Seine Hoffnungslosigkeit, die wie eine heimtückische Krankheit an
seinem Herzen klebte hatte er eines Tages überwunden, seine Wunden waren alle
abgeheilt, die Narben so geschmeidig, dass er sich immer noch bewegen konnte,
jetzt würde er auch diesen Tag überstehen und den Stein, den ihm dieses riesige
Tier hinterlassen hat bewältigen. Aber warum musste es ausgerechnet dieser
Stein sein, der so erbärmlich stank? Was trieb ihn dazu, zu glauben, in ihm sei
das Geheimnis verborgen, das es zu befreien galt? Sein Leben lang hatte er auf
diese Stimme vertraut, die ihm immer wieder flüsterte, was als nächstes er zu
tun habe, welchen Weg er einzuschlagen hat. Er hatte niemals den Reichtum
erlangt, den andere errungen hatten, hatte sich nie rechtzeitig in Sicherheit
gebracht, wenn andere längst in ihren Verstecken verschwunden waren. Wie ein
tapferer Krieger stand er auf der Steinwüste und lies sich die empfindsame Haut
seiner Seele verbrennen, während er anderen eine Brücke war über den reißenden
Fluss des Schicksals. Warum nur hat er das getan? Was ist ihm geblieben, nach
all dem? Arm und abgemagert wie sein alter Hund stand er nun hier in der
sengenden Hitze, die Zunge aus dem Halse hängend und setzte seine letzte
Hoffnung auf ein Stück Katzendreck. Er musste von allen guten Geistern
verlassen sein. Und mit dieser Erkenntnis setzte er noch einmal zu einem harten
Schlag an und der steinige stinkende Klumpen fiel entzwei.
Der Sand um ihn schien zu vibrieren, als würde Klang durch
die Erde fahren und Muster in den Boden zeichnen. Der Spaten fiel aus der
knochigen Hand und begrub sich im Staub. Schon immer war er leicht, der kleine
alte Mann, der nichts als Haut und Knochen war, doch nun fühlte er die
Schwerkraft nicht mehr, Sand und Boden verschwammen unter ihm, als stünde er
auf Wasser. Seine müden braunen Augen füllten sich mit Leben beim Anblick
dessen, was sich hier vor seinen Augen offenbarte. Die sonst so harten Schläge
seines Herzens schwollen an, als würden Götter Pauken schlagen. Er sank auf die
Knie und breitete die Arme aus. Vor ihm strahlte das schönste und blankeste
Gold der Welt, es musste alles sein, was je in diesem Fluss gelegen hatte und
das noch keiner hatte finden können. Zwei große Scheiben, erhaben glänzend wie
Kristallglas blinkten ihn an. Der Alte traute seinen Augen nicht, als er sein
Abbild darin sah. Viele Jahrzehnte hatte er in keinen Spiegel mehr geschaut.
Alt ist er geworden, ja, sehr alt und die wenigen Haare auf seinem Kopf waren
schneeweiß. Doch sein Lächeln war verklärt und zeugte von einer Welt, die
vollkommener nicht hätte sein können. In seinen Augen schimmerte ein goldenes
Licht, so rein, so klar und voller Liebe, dass es mit nichts zu vergleichen
war. „Das bin ich“ hauchte er andächtig aus und in diesem Augenblick sah er in
der anderen Hälfte des Spiegels viele Gesichter von all den Wesen und
Kreaturen, die sein Leben gekreuzt oder begleitet hatten.
Da war sein Vater und
der alte Mann erschrak, er sah seine
Frau und die Kinder, den Freund seiner Kindertage, die alte Tante mit dem
Bonbonglas, die kantige wortkarge Lehrerin, seine Kumpels aus der Goldgrube,
seine Schafe und die Ziegen, der Hund und viele viele andere, die ihm mehr oder
weniger nahe standen. Doch da waren auch die Gesichter seiner Feinde, der
Diebe, die ihn bestahlen und schlugen, all die Menschen, die ihn gequält und
tyrannisiert hatten, erst sah er sie lachen, dann jedoch senkten sich ihre
Häupter und sie vergossen bittere Tränen und er erkannte all ihren Schmerz, der
sie zu Kreaturen der Angst werden ließ. Er fühlte seine eigene Angst, den
eigenen Schmerz und in diesem Schmerz sah er, wie sich die Bilder der zwei
Spiegelhälften zu einem vereinten, wie die Gesichter all der anderen mit seinem
eigenen verschmolzen. Was er nun erblickte erfüllte sein erschüttertes
Herz mit all dem, was er sich je ersehnt
hatte, es war das vollkommene Gesicht der Welt, das Gesicht des Lebens, was in
seinem schimmernden Glanz zum Antlitz eines Gottwesens heranwuchs. „Das also
sind wir“ flüsterte der Alte mit zitternder Stimme und hauchte den letzten
seiner Atemzüge aus, während das Herz in seinem Tanz ehrfurchtsvoll verstummte.
Der Sterbende sank in sein Grab und bedeckte das Gold mit seinem Körper.
Schwere Wolken verdunkelten den Himmel und ließen es nach vielen Jahren wieder
regnen. Dicke Wassertropfen prasselten auf den heiligen Ort, so lange, bis der
Sand das Geschehen bedeckt hatte und darauf ein Baum zu wachsen begann.
Der
Fluss führte wieder Wasser und tränkte die Tiere und das Land, das die Menschen
um ihn herum bestellten. Und wieder waren Goldgräber an seinen Ufern und
suchten nach kleinen leuchtenden Steinchen.
An einer Stelle nahe des Flusses stand ein großer alter Baum
in dessen Schatten sich oft eine Katze zum Schlafen legte. Hin und wieder
blickte sie auf und betrachtete einen mageren alten Goldgräber.