Tagebuch einer Malerin








28.04.2013



Das neuste Bild an dem ich arbeite ist anders als seine Vorgänger, daher die Idee, mit einem Tagebuch zu beginnen. Dann war da noch etwas, das mich auf den Gedanken brachte, alles, was ich während des Malens denke, festzuhalten. Zurzeit lese ich ein Buch, zusammengesetzt aus lauter Kurzgeschichten. Geschrieben hat es eine Malerin, die sich entschloss, ihrer künstlerischen Laufbahn wegen, für drei Jahre nach New York zu reisen, um dort zu leben und zu arbeiten.
Ihre Geschichten beeindrucken mich insofern, dass sie lebendig mitten aus dem Leben der Amerikaner berichten. Am meisten jedoch fesselte mich eine Beschreibung der malerischen Arbeit der Autorin und ihrer Gedanken dabei. Was fühlt sie, wenn sie ein neues Werk beginnt, was erwartet sie selbst von sich und wie reagiert sie auf Schwierigkeiten, oder das etwaige Resultat? All das sind für mich brennende Fragen, deren Antworten mich in ihren Bann ziehen. Endlich bin ich nicht mehr allein mit meinen Gedanken, sind die Atelierwände etwas durchlässiger als sonst.
Ich lese, folge der Schreiberin in ihre Welt, geistere durch ihr Atelier und leide mit ihr, wenn sie sagt: „es will nicht klappen, die Farben passen nicht zueinander, das Bild wird nie fertig, und es wird nicht das sein, was ich erwartet hatte, nein, es wird nicht mal jemand ansehen, weil es wie all die anderen irgendwo im Schrank verstauben wird.“ Ja, genau so ist es, mit den selben Gedanken stehe ich oft vor einem Bild und bin der Verzweiflung nahe, weil ich es ernst nehme, weil es wichtig ist für mich, ob es funktioniert oder nicht, ob es das wiedergeben wird, was ich gerade denke und fühle.
Ich habe doch ein bestimmtes Bild im Kopf und es will raus, aber es zeigt sich nicht. Ich stehe da wie vor einer Nebelwand und warte und warte immer wieder mehr oder weniger geduldig, ob sich die Nebel nun endlich lichten oder nicht. Aber sie tun es nicht, ich schreie innerlich in sie hinein, in der Hoffnung, dass sie sich endlich rühren mögen, mir das freigeben, worauf ich seit Tagen warte und ich nehme den Pinsel und stupfe ihn suchend durch die bereits antrocknende Ölfarbe, was mich wiederum ärgert, weil ich genau weiß, dass wieder viel zu viel Zeit verstrichen ist, zwischen dem letzten Malakt und diesem Augenblick hier.
Ich suche und rühre damit die Farben zusammen, von denen ich fühle, sie jetzt auf meiner Leinwand sehen zu wollen und starre innerlich wieder auf dieses Bild, versuche krampfhaft seinen Linien zu folgen, die immer wieder vor meinem unbarmherzigen Jägertum die Flucht ergreifen. Krampfhaft, ja, dieses Wort, ich kann es hören, tief in mir, und es hinterlässt einen laut klingenden Schall im Kopf und schreit mir zu: „Das ist falsch!“ Ok, nicht verkrampfen, locker bleiben, du kannst ein Bild nicht krampfhaft finden oder in dir zur Schau stellen, wie einen Clown im Zirkus. Es ist etwas Heiliges, das sich hier zeigen will.
Also, lege ich den Pinsel beiseite, gehe die gewohnten fünf Schritte von der Staffelei rückwärts durch den Raum, in der Gewissheit, dass sämtliche Möbelstücke und Mülleimer aus der Bahn geräumt sind und stolpere doch wieder über meine Pantoffel. „Scheiße!“, fluche ich lautstark in mich hinein, verpasse dem einen Schuh einen gehörigen Tritt und weiß genau, dass ich ihn in ein paar Stunden KRAMPFHAFT suchen werde! Egal, es spielt keine Rolle, nicht jetzt, jetzt will ich still auf meinem Podest sitzen, vor meiner Frankfurter Skyline und der ausladenden Terrasse mit dem schönen Fernblick, die ich mir vor Jahren an die Wand gepinselt hatte und die alle Ruhe der Welt verspricht. Hier sitze ich nun und betrachte das angefangene Werk, die Farben in allen möglichen Tönen, die mir zur Verfügung standen, und die ich während einer experimentellen Beschallung einiger kreativer Jazzmusiker aus dem fernen Norden, auf die Leinwand warf und großzügig in ekstatischem Zustand verteilte.
Dies war nun das Resultat. Nun gut, es muss einen Ausweg geben.  Ich sitze, ruhig, nippe an meinem feinen, säurearmen Weisherbst, mit der fruchtigen Note und schenke ihm einen Augenblick tiefste Beachtung. Doch mein Blick klebt an der Leinwand, an dem hellen großen Fleck in der Mitte, der mich nach draußen lockt. Draußen, wo ist das, es ist irgendwo weit hinter dem Bild, dort wo dieses Licht herzukommen scheint. Es zieht mich in seinen Bann, wie immer und immer wieder male ich dann das Gleiche, man geht von vorne ins Bild, durch eine eigenartige Landschaft hindurch, um dort hinten durch diese Öffnung wieder aus dem Bild zu verschwinden. Ich will aber nicht verschwinden, diesmal nicht, ich will drin bleiben im Motiv, damit es endlich so geschaffen werden kann, wie ich es in mir habe.
Aber, ich sehe es immer noch nicht, also, halte ich still, grenze die Wahrnehmung ein und konzentriere den Fokus auf die Linien in meinem Kopf, der Nebel beginnt sich allmählich zu lichten, klarere Formen zeigen sich und bevor ich erkennen kann, was es am Ende sein soll, zieht mich eine Energie wieder weg von meinem Podest, nimmt mir den Weisherbst aus der Hand und stellt ihn auf den Tisch neben mir, setzt meine Füße einen vor den anderen, so lange, bis ich wieder vor der Staffelei stehe, diesmal ohne zu stolpern und blind greife ich nach dem Pinsel, der noch im Glas mit dem Verdünner steht und stupfe ihn wieder in die Farbe und ziehe die Linien nach, die ich soeben noch so klar gesehen habe. Nun muss ich sie im Blick behalten, nicht mehr verlieren oder vergessen, ich forme nach, was ich in mir sehe und male es ab. Ich drücke mit den dunklen Brauntönen, Umbra gebrannt, eine meiner Lieblingsfarben, die stets das Resultat viel zu dunkler Bilder nach sich ziehen, die Fläche vor mir in die hintersten Ecken des Bildes, so dass ich tiefe Höhlen schaffe, durch die ich sogleich entschwinde. Erst als sie so tief hinunterführen, dass es gefährlich wird, sich ihnen zu nähern, krieche ich wieder hervor und wasche meine Borste aus, um sie mit den hellen, cremigen Tönen zu bestücken.
So erhebe ich das Umland der Höhle zu einer stufigen Hügellandschaft, treppenförmig gebe ich dem Blick die Chance, herauszuklettern und sich draußen auf der Ebene wieder auszutoben, ziehe Brücken über tiefe Täler und gebe Freiraum. Doch jetzt ist Schluss, ich will etwas „Reales“ sehen, das, was allgemein bekannt und auch meinem Gehirn in der Regel etwas vertrauter erscheint. Mitten in meine abstrakten Farbkonstruktionen stelle ich eine rosafarbene, schwer übergewichtige Blondine, deren Haar bis weit über die Füße reicht um dann endgültig im vorderen Teil des Motivs in einem See zu verschwimmen.  Ihr roter Mund leuchtet noch viel zu aufdringlich durchs Bild, doch er kann warten.
Plötzlich klingelt das Telefon und mein Blick muss panisch anmuten, als er den Raum nach dem schrillenden Hörer abtastet. Immer noch im Rausch der eigenen Kreationen versuche ich dem aufkommenden Privatgespräch zu folgen, was schwer gelingen mag. Meine gesamte Energie ist gefesselt an den schöpferischen Akt, dem ich mich über Stunden ergeben hatte und ich beschließe, während des Gespräches weiter zu malen, und siehe da, ich telefoniere noch ungefähr eine geschlagene Stunde. In dieser Zeit verbünden sich Worte und Gedanken mit inneren Bildern und meiner ausführenden Hand. Ich beginne seltsam abstrakte Formen zu kreieren und gebe ihnen eine lebhaft Tiefe. Was ich danach vor mir sehe ist das Abbild eines Telefongespräches, so als sei ich ein Seismograph, der ein Erdbeben aufgezeichnet hat. In dieser Stunde dachte ich nicht ein einziges Mal darüber nach, was ich wie und wohin platzieren sollte, nein, ich folgte schlichtweg einem inneren Impuls, stellte nicht infrage, zweifelte nicht, da ich mit Hören und Sprechen beschäftigt war, was durchaus gelang. Es war ein sehr inspirierendes Gespräch mit meiner Mutter, in dem wir innerhalb von sechzig Minuten das komplette Weltgeschehen samt der Schöpfungsgeschichte aus den Angeln hoben.
Ich betrachte nun diesen Ausschnitt des Bildes, jene Formen, die während unseres Gespräches entstanden waren, und stelle wieder einmal fest, alles, das existiert hat eine analoge Ebene, dieses, „ich kann es auch anders ausdrücken“, diese Metapher die ich so gerne nutze, um etwas verständlich zu machen. Ich schaue auf die Formen und Farben dieses Bildteils und sehe gleichzeitig das Gespräch zwischen meiner Mutter und mir. Voller Bewunderung und Begeisterung erkenne ich, dass ich intensiver und freier malen kann, ja sogar inhaltvoller, wenn ich während des Malens jemandem oder etwas zuhöre. So verarbeite ich das Gehörte sofort im Bild. Ich denke auch sonst in Bildern, Worte sind nur Hüllen,  mit Bildern gefüllt, die sich zu deren Verständlichmachung vor mir entleeren. Warum sollte ich noch in meinen Nebeln wühlen und hoffen und warten, dass sich etwas lichtet, hinter dem doch nur das verborgen liegt, was ich selbst erst durch einen bestimmten Einfluss erschaffen muss.
Ich könnte mich mitten auf den Domplatz stellen und malen, ich würde den augenblicklichen Zustand des Platzes porträtieren, ohne einen einzigen Menschen oder gar den Dom malen zu müssen. Auf diese Weise kann ich auch einen Menschen und seine Persönlichkeitsstruktur wahr nehmen, ich befinde mich in seiner Nähe, höre ihm zu, betrachte ihn eine Zeit lang, beobachte seinen Gang, seine Haltung, seinen Blick, die Ausstrahlung seiner Haut und den Klang seiner Stimme und ich male, alles, aber keinen Menschen, denn innen sehen wir anders aus als außen, ebenso haben wir außerhalb unseres Körpers ein Aussehen, ich nehme es wahr und male es.
Ich kann zurzeit kein Motiv suchen, das ist mir jetzt endgültig bewusst geworden. Es gibt im Moment keine Motivwahl für mich, es gibt nur diese Übersetzung, ich übersetze, transformiere das Erlebte in meine Art der Wahrnehmung und Wiedergabe des Erlebten.

Vielleicht habe ich damit einigen Kollegen ein wenig aus der Seele geredet.

1 Kommentar:

  1. oh, wie ich das nachvollziehen kann. wirklich gut geschrieben finde ich.

    AntwortenLöschen

Fliehen

  Es reißt das Leben Lücken In dein Auffangnetz Unbarmherzig Unvermutet Ohne Vorbereitung Es will halten, es will schützen ...